Es war ein winterlicher Morgen mit viel
Schnee, und ein starker, kalter Wind wehte. Es war nicht leicht,
ins Freie herauszukommen. Und doch konnte man Leute zu ihrer
Arbeit eilen sehen und Studenten mit Büchern in ihren Händen
hasteten zu ihren Schulen.
In einer der Moscheen in Hamadan (Iran) versammelten sich
religiöse Studenten um am Morgenunterricht teilzunehmen. Es war
eine wichtige Schule für Islamische Theologie, und der Lehrer
war auch ein sehr großer Gelehrter. Seine Gespräche regten
tatsächlich sehr zum Nachdenken an und so waren seine Schüler
ziemlich intelligent.
Der Lehrer war niemand anderes als der Welt berühmte und große
persische Denker und Philosoph 'lbn Sina', bekannt in Europa als
Avicenna. Seine Vorträge und Schriften zu verschiedenen
Wissenschaftsthemen waren Jahrhunderte lang die
Standardlehrbücher in den Universitäten Europas. Die Studenten
bewunderten sein tiefes philosophisches Denken. Sie fühlten sich
geehrt, in seiner Klasse sitzen und seinen inspirierenden
Vorträgen zuhören zu dürfen.
An jenem kalten Morgen hatten sich die Studenten bereits in der
Moschee versammelt und erwarteten unruhig die Ankunft ihres
gelehrten Dozenten. Sie fragten sich, ob das intensive kalte
Wetter an diesem Tag seine Ankunft verzögert hatte.
Ein paar Minuten waren vergangen, als die Studenten plötzlich
die anmutige Ankunft 'lbn Sina', ihres großen gelehrten Dozenten
bezeugten. Sie fühlten sich sehr glücklich und standen als ein
Zeichen der Verehrung und Rücksicht für ihn auf. Er setzte sich
an seinen üblichen Platz und tauschte Grüße mit seinen Studenten
aus. Er fing sein Gespräch auf seine übliche klare Weise an, die
seine Studenten in den Bann zog. Er gab auch befriedigende
Antworten auf ihre Fragen.
Unter ihnen war ein sehr junger und begeisterter Student namens
'Bahman Yar'. Er stand 'lbn Sina' nahe und war dem Gelehrten
sehr zugeneigt. Er war auch der Beste unter den klugen und
fortgeschrittenen Studenten der Klasse.
Wann immer er den Vorträgen seines Lehrers zuhörte, wurde er
immer faszinierter von seiner tiefen Philosophie und Kenntnissen
von jedem Thema. Er wollte seinen Klassenkameraden sagen: "Ich
frage mich, warum unser Lehrer 'lbn Sina' nicht beansprucht ein
Prophet zu sein, trotz seiner hohen Intelligenz und magischen
Persönlichkeit".
Es wird gesagt, dass 'lbn Sina' eines Tages zufällig am Geschäft
eines Bäckers und Kuchenverkäufers stand. Seine Aufmerksamkeit
wurde auf einen sehr klugen Jungen gelenkt, der Zeichen von sehr
viel Intelligenz zeigte. Der Junge sagte dem Bäcker: "Meine
Mutter bittet um ein kleines Feuer." Der Bäcker antwortete:
"Hast irgendein Gefäß mitgebracht, um das Feuer zu tragen?"
"Nein! Aber ich weiß, wie man es trägt," antwortete der
Junge sofort.
So sagend legte er etwas Asche auf seine Handfläche und streckte
seine Hand dem Bäcker hin, der ein Stück brennendes Holz in
seine Handfläche legte. Ohne zu zögern nahm der Junge es und
ging nach Hause.
'lbn Sina' wunderte sich vielmehr, als
die Intelligenz und den Mut dieses Jungen zu beachten. Er dachte
daran, ihn für eine spezielle Ausbildung und Erziehung unter
seine persönliche Obhut zu nehmen. Der Vorschlag wurde den
Eltern mitgeteilt, die zustimmten und den Jungen seiner vollen
Sorge anvertrauten. So blieb 'Bahman Yar' seitdem an keinem
anderen Platz außer im Haus seines Lehrers und Aufpassers, 'lbn
Sina'. Sie wurden die ganze Zeit zusammen gesehen. Der Junge,
der hoch intelligent ist, eignete sich die besten Kenntnisse an,
die sein Lehrer ihm übermitteln konnte.
Jahre vergingen, und 'Bahman Yar' wurde nicht nur älter, auch
seine Kenntnisse und Verstand wuchsen unter Aufsicht seines
Lehrers. Der Gelehrte war auch sehr stolz auf diesen fähigen
Schüler.
Es war eine der kältesten Nächte der winterlichen Jahreszeit.
Mitternacht war vorüber, und das Schneegestöber war sehr stark.
Sowohl 'lbn Sina' als auch 'Bahman Yar' schliefen in einem
Zimmer unter warmen dicken Decken. Das Licht im Zimmer war
bereits gelöscht, aber der Student stellte noch komplizierte
Fragen zu einigen tiefen Themen. Der Privatlehrer antwortete auf
seine übliche eindrucksvolle Weise. Fasziniert durch die
höchsten Kenntnisse und tiefe Philosophie seines Privatlehrers
machte er wieder den Vorschlag, den er vorher gemacht hatte:
"Oh mein Gelehrter Lehrer!"
flehte er, "mit diesem ganzen Wissen, dass Sie besitzen und
Meister aller Wissenschaften, warum bezeichnen Sie sich nicht
als Prophet? Herr! Denken Sie nicht, dass Sie sogar einige der
vorherigen Propheten an Kenntnissen übertreffen und Ihr Status
heute in der Welt einmalig ist! Wenn Sie sich dafür entscheiden,
Prophetenschaft zu verlangen, würde keiner wagen, Sie
herauszufordern. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich der
erste sein werde, der Ihnen die Treue anbietet, und Ihnen voller
Überzeugung dienen würde."
Schon seitdem 'Bahman Yar' noch jung und unreif war, war sein
Vorschlag gegenüber seinem Lehrer eher emotional als logisch. 'lbn
Sina' lächelte, aber gab keine Antwort.
In dieser Nacht war es äußerst kalt geworden,
und es fiel sehr viel Schnee. Beide schliefen bereits fest. Es
war bereits Mitternacht, und plötzlich wachte 'lbn Sina' auf und
zog seinen Kopf unter der warmen Decke hervor. Zufällig hat er
sehr großen Durst, aber der Wasserkrug im Zimmer war leer. So
entschied er sich dafür, seinen Studenten zu wecken, um
hinauszugehen und ihm etwas Wasser zu bringen.
"Oh 'Bahman Yar'! Mein Sohn 'Bahman
Yar'! Wach bitte auf und bring mir etwas Trinkwasser von draußen"
sagte er mehrmals.
"Warum, ist da kein Wasser im Krug
neben Ihnen, Herr?" fragte 'Bahman Yar.
"Nein!" antwortete 'lbn Sina'.
'Bahman Yar' hob seinen Kopf und sah schweren Schneefall
draußen. Der durchdringende Ton des starken kalten Windes machte
ihn auch nervös rauszugehen. Wieder sagte 'lbn Sina':
"Oh 'Bahman Yar'! Warum die
Verzögerung? Bring mir etwas Wasser, ich bin so durstig."
'Bahman Yar' traute sich nicht aus den warmen Decken heraus, um
dem kalten Wetter außerhalb des Zimmers gegenüberzustehen. Er
brachte seinem Lehrer deshalb lahme Entschuldigungen vor.
"Oh mein respektierter Lehrer! Es
ist für Sie schädlich jetzt Wasser zu trinken, wo Sie gerade aus
der Wärme der dicken Decken gekommen sind. Es ist besser, wenn
Sie wieder bis zum Morgen schlafen, der nicht mehr weit ist",
sagte 'Bahman Yar'.
"Mein Sohn! Bring mir Wasser, ich
habe sehr großen Durst. Ich selbst bin ein medizinischer Experte
und weiß besser, was schädlich ist als du. Ich bin außer Stande
zu schlafen, bring mir bitte etwas Wasser von der draußen",
wiederholte 'Ibn Sina'
Als Antwort brachte 'Bahman Yar' wieder Entschuldigungen hervor,
und argumentierte, dass er sich erkälten und krank werden würde,
falls er bei diesem kalten Wetter ausgehen sollte. So sprechend
wollte er weiterschlafen.
Es herrschte Totenstille und es war kein Laut zu hören. Draußen
war es noch dunkel, nur das erste Licht von 'Subhe Sadiq' (wahre
Morgendämmerung) am östlichen Horizont begann zu erscheinen.
Plötzlich brach das Schweigen mit der wohlklingenden Stimme
eines Muezzins - dem Gebetsrufer auf dem Minarett der nahe
gelegenen Moschee. Nach der Rezitation einiger Verse des
Heiligen Qur'an sagte der Muezzin mit lauter Stimme "Allaho
Akber" - Allah ist am Größten. "Asche-hado ein la ilaha
illallah" - ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah
gibt.
Sowohl der Lehrer als auch sein Student hörten ruhig der
wohlklingenden Stimme des Muezzins zu. Der Aufruf zum Gebet ging
dann mit den Wörtern "Asche-hado anna Muhammadan Rasoolullah"
weiter - ich bezeuge, dass Muhammed der Gesandte Allahs ist. Das
hörend, dachte 'Ibn Sina', die Gelegenheit der Reaktion auf den
wiederholten Vorschlag zu nutzen, den ihm 'Bahman Yar' gemacht
ist. Er sagte: "Hör mir zu, mein Sohn 'Bahman Yar'. Jetzt
möchte ich auf deinen Vorschlag zurückkommen". Der Student
saß da, aufmerksam zuhörend was sein gelehrter Lehrer ihm
plötzlich sagen wollte. 'Ibn Sina' fuhr fort: "Du
hast mir mehrere Male vorgeschlagen, die Prophetenschaft für
mich zu fordern, dass Leute mir vollen Glauben schenken würden,
und dass du der erste sein würdest, der das tun würde.
Sieh, du bist jetzt seit mehreren Jahren mein vertrautester
Student gewesen und hast aus mir viel Nutzen gezogen, und doch
hast hast du es nicht für vernünftig gehalten, mir zu gehorchen,
indem du für einen Moment dein warmes Bett verlässt und mir
Wasser zu holen, welches ich dringend brauche, um meinen Durst
zu löschen. Stattdessen hast du beschlossen, lahme Ausreden
hervorzubringen.
Aber denke an diesen Mann, der jetzt vom Minarett zum Gebet
ruft, nachdem er ins kalte Wetter herausgekommen ist, und mit
kaltem Wasser die Gebetswaschung vollzogen hat. Es ist zu keinem
anderen Zweck, als aus Folgsamkeit und Rücksicht den Befehlen
Allahs gegenüber, übermittelt vor etwa vierhundert Jahren durch
Seinen Propheten Muhammad Mustafa (ص).
Welcher großer Unterschied doch zwischen mir und diesem von
Allah gesandten Propheten ist!" |
übersetzt von: Charleen W. |
|
|